Revolution der Räte

„Baiern ist Räterepublik … “ meldeten am 7. April 1919 Telegramme aus München an die bayerischen Städte und Gemeinden. Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrät*innen (ASB) übernahmen in vielen Städten und kleinen Ortschaften die Macht …

Foto: Ausrufung der Räterepublik in Würzburg | Stadtarchiv Würzburg

Im deutschen Geschichtsbewusstsein hat die Räterevolution von 1918/19 nur ihren Platz als Übergang von der Monarchie zur ersten Demokratie oder als Umsturzversuch, der von einigen Aktivist*innen der USPD, Anarchist*innen und Kommunist*innen gesteuert wurde. Die Grundlage der Räterepublik war jedoch eine sich radikalisierende Massenbewegung, die sich nicht genau bestimmen lässt. Auch innerhalb der Parteiorganisationen wurden zeitweise die zentralistischen Parteistrukturen außer Kraft gesetzt. So unterstützten Ortsgruppen der SPD die ausgerufene Räterepublik auch während der Fortexistenz der SPD-Regierung Hoffmann weiter vorbehaltlos, erklärten sich neutral oder weigerten sich von Anfang an, die Räterepublik mitzutragen.

Die bayerische „Novemberrevolution“

Unruhen herrschten in Bayern bereits während der Kriegsjahre: Im August 1917 demonstrierten in München Frauen gegen den Krieg. Regelrechte Hungerrevolten bestimmten den Juni 1918. In den Industriebetrieben streikten die Beschäftigten. Ab Anfang November demonstrierten immer wieder ArbeiterInnen. In Norddeutschland revoltierten die Matrosen. Alle Schichten der Bevölkerung waren kriegsmüde, die deutschen Truppen militärisch besiegt. 40.000-60.000 Menschen versammelten sich am 7. November1918 zu einer Friedenskundgebung auf der Münchner Theresienwiese.

Bereits am nächsten Tag konstituierte sich der „Provisorische Nationalrat“, bestehend aus ASB-Rät*innen und den Mitgliedern der sozialdemokratischen, demokratischen und bauernbündlerischen Fraktionen des alten Landtages. Der König dankte ab und floh. Bayern wurde zum Freistaat erklärt, Kurt Eisner (USPD) bald Ministerpräsident einer neu gebildeten Regierung.

Basisdemokratisches Rätemodell oder Parlament wurde zur Streitfrage. Ein großer Teil der SPD forderte „geordnete Zustände“. Für die links von der SPD stehenden politischen Kräfte war dagegen eine Nationalversammlung gleichbedeutend mit einer Konterrevolution. Eisner versuchte, die unterschiedlichen Forderungen, sozialistische Räterepublik oder Parlament – zu überbrücken: „Räte als Kontrollorgan und Parlament“!

Die SPD und die bürgerlichen Parteien setzten schließlich Landtagswahlen durch. Die USPD erhielt nur 3 von 180 Mandaten. Kommunist*innen und Anarchist*innen hatten die Wahl boykottiert. Eisner entschloss sich zum Rücktritt und wurde am 21.2.1919 auf dem Weg zur entsprechenden Landtagssitzung von Anton Graf von Arco auf Valley erschossen. Eisner war in der Bevölkerung beliebt, 100.000 Menschen folgten seinem Trauerzug. Die Wut über seine Ermordung richtete sich sofort gegen den Landtag: Eindringende Arbeiter erschossen zwei Bürgerliche und verwundeten Erhard Auer (SPD), der als Feind Eisners galt. Ein neu konstituierter Revolutionärer Zentralrat übernahm die Macht. Er setzte sich aus Rät*innen, je einem Angehörigen der SPD und der Gewerkschaften zusammen. Von Nürnberg aus drohte der sozialdemokratische Soldatenrat Schneppenhorst mit dem III. Armeekorps, falls nicht umgehend der Landtag einberufen werde. Nach langen Debatten stimmte der Rätekongress am 7. März einer Einberufung des Landtages zu. Der Landtag wählte eine Koalitionsregierung unter Hoffmann (SPD) und gestand den Räten wurde nur noch beratende Funktion zu. Schneppenhorst, der vorher den Räten Waffengewalt angedroht hatte, wurde Kriegsminister.

Inzwischen nahmen die Ereignisse ihren Lauf: Die Ausrufung der ungarischen Räterepublik, Streiks und die Tatenlosigkeit der Regierung stifteten Unruhe auch in den Reihen der SPD. Die Augsburger SPD forderte am 3. April die Ausrufung der Räterepublik.

Baiern wird Räterepublik

In München einigten sich Anarchist*innen, SPD, Bauernbund und USPD auf die Bildung einer Räterepublik, die am 7. April ausgerufen wurde und ein Zusammentreten des Landtages verhinderte. Die Kommunist*innen lehnten die Räterepublik als ein „Werk abhängiger und unabhängiger Kompromißler und phantastischer Anarchisten“ (Münchner KPD-Zeitung Rote Fahne) ab.  Als Köpfe der Revolutionär*innen galten die anarchistischen Schriftsteller Gustav Landauer, Erich Mühsam und Ernst Toller.

Ausrufung der Räterepublik in Würzburg

Ausrufung der Räterepublik in Würzburg am 7.4.1919

„Läßt man mir ein paar Wochen Zeit, so hoffe ich etwas zu leisten, aber leicht möglich, daß es nur ein paar Tage sind, und dann war es ein Traum“ (Landauer). Sein Traum dauerte nur eine knappe Woche. Erlasse wurden zuhauf formuliert, Maßnahmen angekündigt: Sofortige Behebung des Kohlemangels, Umstrukturierung des Bildungswesens, Kommissionen gegen Wohnungsnot… . Konkrete Handlungen konnten in dieser kurzen Zeit nur wenige folgen. Neben der Beschlagnahme von leerstehenden Wohnungen war die Umstrukturierung der Presse die bedeutendste Maßnahme: Die weit verbreitete antisozialistische und antisemitische Hetze der bürgerlichen Presse wurde unterbunden, Berichte über die neue ungarische Räterepublik, Proklamationen, Texte und Holzschnitte zur Neuen Kunst und Kultur bestimmten für kurze Zeit die Zeitungen. Der Widerstand des Bürgertums, die elementare Not und politische Grabenkämpfe ließen keinen großen Handlungsspielraum.

Die Gestaltung lokaler Räteherrschaft unterschied sich in Bayern von Ort zu Ort und hing von den jeweiligen Gegebenheiten ab. Münchner Erlasse wurden in der Provinz teils befolgt, teils ignoriert, teils in veränderter Form herausgegeben. Die Regierung Hoffmann flüchtete inzwischen nach Bamberg und ersuchte die Reichsregierung um Unterstützung gegen die Münchner Räte. Schneppenhorst und die Truppen des Freicorpsführers Epp eroberten am 10. April Ingolstadt.

Plakat Rote Armee April 1919

Die 2. Räterepublik

Der Zentralrat tagte das letzte Mal am 12. April. Republikanische Truppenteile putschten am Tag darauf mit Billigung der Bamberger Regierung gegen das Rätesystem und verhafteten 13 Mitglieder der Räteregierung, darunter Erich Mühsam. Bewaffneten Arbeitern gelang es jedoch, die Putschisten zurückzuschlagen. Der missglückte Putsch hatte in München, wie aus einem Vernehmungsprotokoll hervorgeht, „außerordentlich zur Hebung des Selbstbewusstseins der Münchner Arbeiter*innenschaft beigetragen. Gestützt auf die Betriebsräte fand die Räterepublik nun wirklich einen mächtigen Rückhalt im gesamten Münchner Proletariat, das seine Solidarität zwar nicht durch die Einigkeit der Parteiführer, umso deutlicher aber durch die ordnungsgemäß gewählten Räte zum Ausdruck brachte.“ Die Betriebs- und Soldatenräte übertrugen nun einem 15-köpfigen »Aktionsausschuss« die Macht. Dessen Vollzugsrat bestand aus 4 Mitgliedern (mit dabei: Leviné und  Levien). Bis auf die verhafteten Räte bekannten sich fast alle mehr oder weniger exponierten Aktivisten der „anarchistischen“ Republik auch zu dieser.

Toller wurde Kommandant der Roten Armee. Landauer arbeitete weiter an der Umstrukturierung des Kultur- und Bildungswesens. Von den Kommunist*innen enttäuscht und nachdem sein Konzept von Leviné abgelehnt wurde, verabschiedete sich Landauer ein paar Tage später aus der aktiven Politik: „Ich habe mich um der Sache der Befreiung und des schönen Menschenlebens willen der Räterepublik weiter zur Verfügung gestellt. […] Inzwischen habe ich sie am Werke gesehen, habe ihre Aufklärung, ihre Art, den Kampf zu führen, kennengelernt. Ich verstehe unter dem Kampf, der Zustände schaffen will, die jedem Menschen gestatten, an den Gütern der Erde und der Kultur teilzunehmen, etwas anderes als sie.“

In anderen Orten, z. B. in Passau und Lindau, dauerte die Räterepublik bruchlos über den 13.4. hinaus an, bis sie vor dem zunehmenden militärischen Druck der heranrückenden Truppen kapitulieren musste.

Während dessen verschärft sich die Situation in München zusehends. Im Norden versammeln sich die „Weißen“ – Regierungstruppen und Freicorps – und beginnen die Stadt einzukesseln. Bei Dachau schlägt die Baierische Rote Armee die „Weißen Truppen“, drängt sie vorläufig zurück und besetzt einige Tage später Freising und Rosenheim. Freicorps und von Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) entsandte Reichstruppen drangen schließlich am 1. Mai mit Panzern in München ein und brachen äußerst brutal den Widerstand der kämpfenden Arbeiter*innen. Es begann der „Weiße Terror“, der über 1000 Menschen das Leben kostete. Landauer wurde festgenommen und von einer Soldatenmeute ermordet. Leviné wurde verurteilt und einen Monat später hingerichtet. Erich Mühsam saß bis 1924 in Festungshaft. 1934 ermordeten ihn die Nazis im KZ Oranienburg.

Ernst Toller wurde auch zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt. Dort entstanden seine bedeutendsten Theaterstücke, die in 27 Sprachen übersetzt wurden. 1933 ging er in die USA ins Exil und avancierte dort zum wichtigsten Repräsentanten eines anderen Deutschlands. Er engagierte sich für die spanische Republik und warnte davor, dass der Bürgerkrieg in Spanien für Deutschland lediglich die Generalprobe für einen europäischen Krieg sei. Nachdem Franco in Madrid seinen Sieg feierte und die faschistische Diktatur in Spanien durch England, Frankreich und die Vereinigten Staaten unverzüglich anerkannt wurde, nahm er sich am 19. Mai 1939 in New York das Leben.

Mitte August 1919 beschloss der Landtag die Verfassung des Freistaats Bayern, welche vier Wochen später in Kraft trat.

Wolfgang Most

Literatur:

Michael Seligmann: Aufstand der Räte, Grafenau 1989

Christiane Sternsdorf-Hauck, Brotmarken und rote Fahnen, isp-Verlag 1989

Herbert Kapfer/Carl Ludwig Reichert: Umsturz in München –  Schriftsteller erzählen über die Räterepublik

Tankred Dorst: Die Münchner Räterepublik, Frankfurt/M 1966

Jürgen Sandweg: Erlangen – von der Strumpfer- zur Siemensstadt, Erlangen 1982