Erlangen – Zentrum der Gegenbewegung

Boykottaufruf gegen USPD-Gründung in Erlangen
Boykottaufruf gegen USPD-Gründung in Erlangen

„Wir wollen von der allerneusten Räteregierung nichts wissen, weil sie vollständig unter dem Einflusse dahergelaufener, landfremder Nordlichter und bolschewistischer Kosmopoliten steht“ Erlanger Tagblatt (ET) v. 8.4.1919.

Als in einem Telegramm dem Erlanger Arbeiter- Soldaten- und Bauernrat (ASBR) am Morgen des 7. Aprils die Ausrufung der bayrischen Räterepublik mitgeteilt wurde, wollten sich die bürgerlichen Parteien sogleich von Süddeutschland verabschieden: „Wir erwarten, daß ein freier Volksstaat Franken uns die unbedingt notwendige Ruhe und Ordnung bewahren wird“ (ET v. 7.4.1919). Neben Nürnberg wird Erlangen das zweite mittelfränkische Zentrum der Gegenbewegung.

Novemberrevolution – Rat der Arbeiter, Soldaten und Bauern in Erlangen

„Die Arbeiter und Arbeiterinnen Erlangens fühlen sich solidarisch verbunden mit den Soldaten und Bauern. Ein provisorischer Arbeiter- und Soldatenrat hat sich in Erlangen gebildet, welcher die öffentliche Gewalt übernommen hat (…)“ (Erlanger Tagblatt  9.11.1918).

Als Reaktion auf den Sturz der Monarchie und den Umwälzungen in Bayern bildete sich auch in Erlangen ein „Rat der Arbeiter, Soldaten und Bauern“. In den „erweiterten Arbeiterrat“ entsandten die Einzelgewerkschaften entsprechend ihrer Mitgliederzahl 40 und die SPD drei Delegierte. In den den engeren Vollzugsausschuss wählten in der konstituierenden Sitzung am 9. November mittags Vertrauensleute aus Partei und Gewerkschaften Arbeiterräte, die auch in der Gewerkschaftsarbeit aktiv waren: Paul Ritzer, Otto Braun, Georg Strauß und Anton Hammerbacher. Am Nachmittag wählten 27 Soldatenvertreter der Garnision den vierköpfigen engeren Soldatenrat. Zu dessen Vorsitzenden wird Oberstleutnant Wagner gewählt. Die engeren Arbeiter- und Soldaten-Räte bildeten zusammen den „Rat der Arbeiter, Soldaten und Bauern“. Die Gründung eines Bauernrates, der sich vor allem um die Lebensmittelversorgung der Stadt kümmerte, erfolgte aber erst am 11. November.

Paul Ritzer und Anton Hammerbacher waren bereits für die MSPD im Magistrat vertreten. Der Erlanger ASB-Rat lehnte es zwar ab, auch Entsandte bürgerlicher Parteien aufzunehmen: „In diesen Aufgaben begrüßen wir die Mitarbeit aller unselbstständigen Berufsgruppen, dagegen erscheint es uns nicht angezeigt, Vertretungen von politischen Vereinen, die in der ganzen Umwälzung nur völlig passive Stellungen eingenommen haben, und die in unserer Mitte naturgemäß in erster Linie auf das Interesse ihrer eigenen Partei eingestellt sein dürften, im Arbeiter, Soldaten- und Bauernrat zuzulassen“ (Schreiben des AS-Rates vom 26.11.1918). Die Erlanger Räte waren aber bereit, mit den traditionellen Verwaltungsgremien zusammen zu arbeiten. „Zwischen Magistrat und Arbeiter- und Soldatenrat wird loyal zusammengearbeitet werden“ (ET 14.11.1918). Diese Vereinbarung entsprach der Nürnberger Übereinkunft zwischen Oberbürgermeister Geßler und den AS-Rat in der Nachbarstadt vom 9. November. Die Erlanger Räte sahen ihre Aufgabe darin, „eine zeitlich befristete Regulativfunktion zu erfüllen“ (ET 14.11.1918). Sie wollten Reformpolitik und keinen revolutionären Umsturz.

Soldatenrat Wagner dagegen drängte auf eine radikalere Vorgehensweise. Er habe sich für „die Trennung von Kirche und Staat“ ausgesprochen, wollte den Kapitalismus ausrotten und habe angestrebt, „die gemäßigten Mitglieder des hiesigen Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrates kalt zu stellen“ (Schreiben des ASB-Rates vom 19.12.1918 an den ASB-Rat Fürth). Am 21. November trat Wagner zurück und verließ freiwillig den ASB-Rat. Sein Nachfolger, Feldwebel-Leutnant Hans Weigl stellte sich „bewusst auf den gesunden Boden einer demokratischen Realpolitik“, wandte sich gegen die „Monarchie“ und die „Diktatur einer anderen Volksschicht“ und sprach sich für die Einberufung einer Nationalversammlung aus.

Freicorps gegen Münchner Räterepublik

„Wir wollen von der allerneusten Räteregierung nichts wissen, weil sie vollständig unter dem Einflusse dahergelaufener, landfremder Nordlichter und bolschewistischer Kosmopoliten steht“ Erlanger Tagblatt (ET) v. 8.4.1919.

Als in einem Telegramm dem Erlanger Arbeiter- Soldaten- und Bauernrat (ASBR) am Morgen des 7. Aprils die Ausrufung der bayrischen Räterepublik mitgeteilt wurde, wollten sich die bürgerlichen Parteien sogleich von Süddeutschland verabschieden: „Wir erwarten, daß ein freier Volksstaat Franken uns die unbedingt notwendige Ruhe und Ordnung bewahren wird“ (ET v. 7.4.1919). Neben Nürnberg wird Erlangen das zweite mittelfränkische Zentrum der Gegenbewegung.

Sicherheitswehr Erlangen 1919
Sicherheitswehr Erlangen 1919

Die Erlanger und Nürnberger Sozialdemokraten bekannten sich zur Regierung Hoffmann. Die Erlanger Genossen forderten nach einer Versammlung im Redoutensaal das Kabinett Hoffmann auf, dass es der Räteherrschaft „in der Hauptstadt mit allen Mitteln ein Ende macht“. Die Erlanger Bauern- und Arbeiterräte stellten sich ebenfalls hinter die Bamberger Regierung. Anders als in Fürth spielte die USPD in Erlangen keine Rolle. Die Gründungsversammlung einer eigenen Ortsgruppe scheiterte, da MSPD und der Erlanger ASBR erfolgreich zum Boykott aufgerufen hatten. Gegen die „Vergewaltigung Bayerns durch ausländische Juden und verkrachte Studenten“ wetterten die Bauern des Seebachgrundes in Herzogenaurach und forderten eine Lebensmittelsperre gegen die Räterepublik.

Dem Aufruf der MSPD folgend demonstrierten am Vormittag des 8. April Arbeiter und die Einheiten des 10. Feldartiellerie-Regiments und des 19. Infanterie-Regiments mit Musikkapellen am Marktplatz. Der Erlanger MSPD-Vorsitzende Vogel und MSPD-Magistratsrat Hammerbacher warnten in ihren Ansprachen vor den Folgen der Räterepublik: „Binnen kurzer Zeit wäre die Anarchie – Kampf aller gegen alle – Tatsache“.

Bevor er sich nach Bamberg begab, beauftragte der Rektor der Universität, Max Busch, eine Gruppe reaktionärer Studenten, Anhänger der Räterepublik aus der Lehranstalt hinauszuwerfen, falls diese eine Übernahme der Universitätsleitung wie in München versuchen sollten.

Arbeiter-, Soldaten-, und Bauernrat, Magistrat und Garnisonsältester verkünden am 10. April gemeinsam den vom Nürnberger Generalkommando angeordneten Kriegszustand. Das Nürnberger Generalkommando schickte 150000 Gewehrpatronen und 600 Artilleriegranaten nach Erlangen. Alle Erlanger Arbeiter- und Bauernräte stimmten auf einer Versammlung im Bezirksamt für Bamberg, nachdem der AR-Vorsitzende Paul Ritzer (MSPD) davor warnte, dass Bayern unter der Räteregierung „vollständig dem Ruin entgegengehen würde“.

Der Erlanger ASR hatte bereits am Tag zuvor mit der Aufstellung einer Sicherheitswehr begonnen. ASR, Universitätsleitung und Studentenausschuss stimmen einer Aufnahme auch von Studenten in die Wehr zu. Schließlich handle es sich bei der Niederschlagung der Räterepublik um eine „Lebensfrage für ganz Bayern“ so Oberst Engelhard in der ASR-Sitzung am 12. April. Entsprechend lautete der Beschluss am Ende dieser Sitzung: „In Anbetracht der Russengefahr seitens des hiesigen Gefangenenlagers liegen zwingende Gründe vor, auch die Bürgerlichen und Studentenschaft zu bewaffnen (…)“

Die Studenten zogen es jedoch vor, sich dem Freicorps Epp anzuschließen. Den Werbern des Freicorps wurde erlaubt, innerhalb des Universitätsgeländes ein Anwerbebüro zu eröffnen. „An die waffenfähigen Männer der Stadt“ appellierte das ET ständig, sich an der Niederschlagung der Räterepublik mit Waffengewalt zu beteiligen. Bis Ende April schlossen sich etwa 350 Erlanger Studenten dem Freicorps des Ritters von Epp an und marschierten gegen München. Zu diesem Zeitpunkt war aus der Sicherheitswehr bereits eine Einwohnerwehr unter Leitung der DDP (Deutsche Demokratische Partei) geworden, USPD-Anhänger waren längst entwaffnet und ausgeschlossen.

Ausstellungstafel Erlangen Uni als PDF

Ausstellungstafel Erlangen Freikorps und Einwohnerwehr als PDF

Literatur:
Jürgen Sandweg: Erlangen – von der Strumpfer- zur Siemensstadt, Erlangen 1982
Michael Seligmann: Aufstand der Räte, Grafenau 1989